Bilder + Grenzfälle
11 x Fotokunst aus Berlin-Brandenburg

12.2. - 16.3.1999

Dieter Appelt
Kurt Buchwald
Thomas Florschuetz
Kubiak & Rauch
Wiebke Loeper
Michael Lüder
Steffen Mühle
Anett Gerda Ohnesorge
Susanne Schleyer
Gundula Schulze Eldowy
Martin Zeller

Dieter Appelt

 

Kubiak & Rauch
 

Kurt Buchwald
 

Kurt Buchwald
 


Thomas Florschuetz
 


Thomas Florschuetz
 


Wiebke Loeper
 


Wiebke Loeper
 

 

Michael Lüder
 

 

Michael Lüder
 


Steffen Mühle


Steffen Mühle
 

 

Anett Gerda Ohnesorge
 

 

Anett Gerda Ohnesorge
 


Susanne Schleyer
 


Susanne Schleyer
 


Gundula Schulze Eldowy
 


Gundula Schulze Eldowy
 


Martin Zeller

 


Martin Zeller

 

Der Blick von Cottbus aus auf die Kunstlandschaft im „Großraum" Brandenburg-Berlin sollte weder angestammtem Lokalcolorit folgen, noch am Schrebergartenzaun der reinen Fotografieszene enden. Ich hoffe, es ist geglückt, eine Reihe von Positionen zu vereinen, die u.a. - ich betone das - mit dem fotografischen Bild arbeiten. Zu allererst aber ging es um Intensitäten.

Diese 11 Werkgruppen kamen in Cottbus ganz anders zusammen als hier. Natürlich war da die Frage, ist eine Ausstellung einfach so verpflanzbar, oder gibt es da nicht zwangsläufig Perspektivverschiebungen? Was für mich ein glückhaftes Phänomen ist, an etlichen Stellen kommen die unterschiedlichen Handschriften anders, also neu zueinander. Die Bilder wenden mir eine neue Seite zu oder ich entdecke etwas, das ich vorher nicht sah. Insofern ist die Präsentation hier gegenüber der in der Niederlausitz nicht wiederzuerkennen. Der jeweilige Raum fordert mehr, als einem Ausstellungsmacher manchmal bewußt wird.

Die Welt der Bilder - nicht nur der fotografischen - wird gegenwärtig heftig durcheinandergewirbelt. Symbolisch dafür steht der „Photoshop" aus dem Computerprogramm. Nicht zuletzt mit seiner Hilfe haben sich weitreichende Zugriffs- und Bearbeitungsmöglichkeiten ergeben. Die Bildkünste unterliegen heute einem nie gekannten, dynamischen Veränderungsprozeß und die „Neuen Medien" sind - nicht nur auf dem Territorium der Kunst - im heftigen Vormarsch. Doch gerade die umfassende Verfügbarkeit und Bearbeitbarkeit von Bildmaterial hat deutlich gemacht, daß wieder die Funktion des Bildes wesentlich wird, wesentlicher als seine technische und stilistische Erscheinung.

Die Ausstellung „Bilder + Grenzfälle" nun vereint 11 Beiträge, die vornehmlich Schnittstellen zwischen traditionellen Bildmitteln und innovativen Untersuchungen und Aneignungsformen aufweisen. Ganz bewußt wurde die landläufige Dokumentarfotografie und die vielfach modisch zappelnde Livefotografie sowie auch die elektronischen Bilder ausgeklammert, um das Terrain überschaubar zu halten. Die 11 künstlerischen Konzepte sollten deshalb umso deutlicher hervortreten lassen, wie das herkömmliche Bild sich im Spannungsfeld von Intensität und Grenzforschung wieder und wieder zu behaupten vermag. Die Auswahl zielte, ohne Subjektivität leugnen zu wollen, auf als exemplarisch und wegweisend gesehene künstlerische Haltungen und Handhabungen.

Im Nachfolgenden möchte ich Ihnen mit einigen Stichworten diese anhand von Einzelwerken oder Werkzusammenhängen vorstellen.

Gleich hier werden wir mit KURT BUCHWALDs „Rotem Altar" aus der Installation „Im Angesicht" konfrontiert. Der Fotokünstler - bekannt geworden durch seine inzwischen weltweit durchgeführte Aktion „Fotografieren verboten!" - setzt einerseits auf das experimentelle Hinterfragen des Fotografiervorganges, wie er sich andererseits auch ganz bewußt tradierten Formen zuwendet. Mit inszenatorischem Beleuchtungseffekt und der Präsentation in altehrwürdiger Altarform, gewinnt Buchwald geradezu klassische Qualitäten. Demonstrativ entblößt der Fotograf den Zeitgenossen, zeigt die gespenstische, die Schattenseite unseres Selbst.

In ihrer Körpersprache wirken die mit der Plattenkamera aufgenommenen lebensgroßen Figuren von KUBIAK & RAUCH fast wie selbstversunken, nicht ganz von dieser Welt. Der Bildgrund bietet durch die stückweise Montierung und Durchsichtigkeit des Materials wenig Festes. Viel mehr droht bei dem schichthaften Zueinander Fragmentierung und Auflösung. Doch gewinnen die Gestalten mühevoll und hingegeben, im nahezu tänzerischen Akt der Selbstbestimmung, ihr gestisches Vokabular zurück. Sie tasten in den Umraum, leben zwischen Auseinanderschweben und Konzentration. Titel des Figurenfrieses: „12 Tage sich des Vergessens zu erinnern".

MICHAEL LÜDER bezeichnet eine Reihe seiner jüngsten Arbeiten als „Einschlüsse". Mittels Klebefolie, Öl und dicken Glasplatten gelingt es dem Künstler, den organoid wuchernden Motivbestand auf den Display-Filmen weiterwachsen zu lassen. So gewinnt der Fotograf mittels Verlaufspuren und Blasenbildungen eine Transparenz, die dank des einfilternden Seitenlichts - was natürlich nur am Tage zu sehen ist - sich regelrecht zur Transzendenz zu steigern vermag. Dergestalt erlangt Lüder die Aufhebung der materiellen Erscheinungsweise des Bildes, hin zum lebendigen Leuchtwesen, das seinen Mikrokosmos schwebend entfaltet.

Mit Konsequenz hat THOMAS FLORSCHUETZ über lange Jahre immer aufs neue seinen Körper als Motivgrund genommen. Aber seine Nahsichten bringen den körperlichen Bestand aus der Fassung. Wir vollziehen einen Weltenwechsel in der Annäherung auf diese Bilder hin, denn die Segmentierung führt zur Verselbständigung. Die angestrengte Eingliederung in ein gedachtes Ganzes scheint unmöglich geworden. So entfaltet das Bildwesen eigene Kraftfelder voll Fremdheit und ahnungsvoller Selbstverständlichkeit. Im Spiel von Tiefenschärfe und Unschärfe, von Licht und Schatten, Grund und Figur entwickelt das fotografische Bild sich zum Grenzgänger.

Die „24 Studien zu: Komplementärer Raum II" von DIETER APPELT gehen auf eine aufwendige Versuchsanordnung zurück. Ohnehin offenbart sich sein Fotografieren als eine komplex begriffene Aktivität, weit entfernt vom simplen Sucherblick und Auslöserdrücken. Es offenbart sich als ein Vorgang zur Einlagerung von Zeitspuren, zum mehrschichtigen Verdichten und Durchdringen. Und andererseits verwandelt der Künstler das Fotografieren zu einer Aktion, die den ganzen körperlichen Einsatz erfordert. Dieter Appelt arbeitet mit der Selbstaussetzung in einem langwierigen Prozeß, der schon rituelle Züge trägt und damit in der erzeugten Intensität auf außerkünstlerische - das wäre die Frage - archaische Kulturschichten verweist: die Selbstinitiation, will sagen, der Übergang von einer Bewußtseinsstufe in eine höhere.

Einerseits operiert STEFFEN MÜHLE mit der Anspielung auf das Tafelbild, wenn er den Digitaldruck auf Leinwand anwendet. Andererseits wirkt die rahmenlose Werkgruppe „Klon" als „kultursichernde" Folie (mit bewußt gesetztem Hang zum Kitschigen), als symbolhaftes Bilddekor, das unsere Lebensaktivitäten beständig und geradezu notwendig hinterfängt bzw. begleitet, wie dieses Erinnerungsknippsbild. Aber was wurde hier eigentlich manipuliert, geklont? Was Steffen Mühle als Bildausgangsstoff diente, bleibt letztlich für uns Betrachter im Dunkeln. Die Realität des Bildes zeigt sich einzig in seiner Manipulierbarkeit und damit scheint der Glauben an die fotografische Wirklichkeitsablichtung allemal dahin.

MARTIN ZELLERs Langzeitaufnahmen leben vom Widerspruch zwischen urbanen Koglomerat und romantischer Verschwebung. Seine Nachtarbeiten kehren das Ungewisse, die Schattenwelt, das schwarz drohende Nichts um die leergefegten Großstadtkulissen hervor. Die Fotografien wachsen sich zu seelischen Topografien aus. Mit seiner Aufnahmetechnik gewinnt der Fotokünstler nachtseits Bildverdichtungen, die unserem Auge normalerweise verborgen bleiben müsen. Seine Kamera sammelt das Licht oft langwierig erkundeter Orte ein, manchmal reicht das über Stunden, keine Fremdbeleuchtung kommt hinzu. So verwandeln die Lichtspuren die Architekturen und Bau-Wesen, geben ihnen magische Strahlkraft.

WIEBKE LOEPER zeigt ihre Bucharbeit „Gold und Silber lieb ich sehr". Dem Titel und der handlichen Größe nach erinnert mich das an ein Poesiealbum. Folgen wir im Einschauen, Blättern und Durchdringen der Richtung von Schrift und Bild-Zusammenstellung, so dringen wir in die private Welt eines Menschen ein. Doch der abfotografierte Schriftzug, welcher sich mehr und mehr auflöst, sich schließlich auf Zetteln wundläuft und selbst entgleitet, führt uns ins Nichts. Diese Geschichte, welche die Künstlerin uns nahe bringt, besitzt ein dunkeles Ende: Verlieren, Vergessen, Alzheimer. Das ganz Persönliche, das Wiebke Loeper mittels Kunst erinnert und durcharbeitet - im Sinne von Freud -, also zu bewältigen versucht, benötigt einfach die leise und intime Buchform. Beim Lesen spüren wir vielleicht selbst: Jeder ist letztlich mit sich allein.

Mit ihrer Installation „Asservate. Chronik einer deutschen Familie 1907-1997" hat SUSANNE SCHLEYER quasi ein begehbares Familienfotoalbum geschaffen. Aber dieser Gedächtnisraum, den die Künstlerin erschließt, besitzt besondere Dimensionen. Sie hat nämlich 2 Jahre lang in der eigenen Familie recherchiert und sich mit einem Tabu auseinandergestzt, mit welchem sie in der DDR aufgewachsen war. Niemals ging ihr es dabei um besserwisserisches Bloßstellen ihres Großvaters. Viel mehr wollte sie die Schuldhaftigkeit, das verstrickte Böse verstehen lernen und wieder in die Geborgenheit des familiären Albums zurückholen. Ein schwerer Weg des Wiedererinnerns, der zugleich Typisches freisetzt, denn die deutsche Geschichte ist voller Widersprüche, Brüche und gruseliger Parallelen, aber auch voll Suche nach Lebbarkeit. Und Verdrängen bringt die Ungeheuer hervor, die man eigentlich ausblenden will.

„Reminiszenzen" heißt soviel wie Rückerinnerung, Anklang, Reminiszenzen nennt die Fotografin ANETT GERDA OHNESORGE ihre neunteilige Blattfolge. Sie versucht mit Schwarz/Weiß-Aufnahmen dem Erinnerungsvorgang selbst auf die Spur zu kommen. Die Bildräume werden von keinem konstruierten, deutlichen Gefüge getragen, sondern Andeutungen und Ambivalentes bestimmen das Motiv. Als müßten sich aus dem flächig lastenden Schwarzgrau die Details, allmählich vom Licht erreicht, erst konturieren. Eine märchenhafte Sehnsucht wird für mich spürbar, aus dieser dämmrigen, ja manchmal ängstigenden Bestimmung herauszugelangen. So gelingt es der Künstlerin ohne Verklärung in die Perspektiven der Kindheitstage hinabsteigen. Blickwinkel, die unseren eigenen Erinnerungsstrom zum Fließen bringen.

Die Fotoarbeiten von GUNDULA SCHULZE ELDOWY sind in den letzten Jahren fast ausnahmslos auf Reisen entstanden. Zuerst fällt ins Auge, daß - im Gegenteil zu ihrem Frühwerk - sowohl inhaltlich als auch formal die Bilder einer starken Reduktion unterliegen. Das Erzählerische bleibt ausgeblendet und über dieser Werkfolge liegt das einfach Kompositionsprinzip von Kreis oder Kugel: Ein schon in Dunkelheit versinkende Feuerball der untergehenden Sonne, die über Parkwiesen dahinschwebende Seifenblasen. Die verhaltene, nach innen sich kehrende Atmosphäre läßt uns Betrachter Zeit, zum Vergleich, zum Ausruhen. So zeigt sich die Künstlerin deutlich vom meditativen Klang fernöstlicher, japanischer Kultur beeinflußt - und entdeckt ein uraltes Weltprinzip wieder, das der vier Elemente. Wovon hier Feuer (= Geist) und Luft (= Mentalität) zu sehen sind. Dazu gehören noch Wasser (= Seele) und Erde (= Leib). In der alchemistischen Lehre stehen sich symbolisch so Makrokosmos (das Weltall) und Mikrokosmos (der Mensch) gegenüber. Ein Meditationsraum kann sich eröffnen.

Und damit schließt sich die Runde.

11 Handschriften und Sichtweisen. Bilder und Grenzfälle, sie offenbaren eine existentielle Dimension der Kunst, die sowohl von Selbstvergewisserung als auch Rückbindung nachhaltig geprägt wird.

Jörg Sperling

 

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