Kleine Welten

- Fotografien und Video

11.4. bis 11.5.1999

 

zu Katalog und Bildern

 

Von der Wirklichkeit der Modelle

Auch wenn wir der Kindheit längst entwachsen sind bleibt uns eine gewisse Faszination für Miniaturmodelle wirklicher wie fiktiver Welten – sei es in Form von Gegenständen und Figuren oder auch ganzer Szenerien - erhalten. Es ist nicht allein das nostalgische Sentiment, dass sich verklärend an Spielzeug als Symbol für die Phase der Kindheit schlechthin heftet, sondern auch die Erinnerung daran, wie man sich mittels dieser Dinge in abenteuerliche Situationen versetzten oder schlicht die Erwachsenenwelt nachstellen und sich darüber zu eigen machen konnte, dass diese nachhaltige Faszination begründen mag.

Die in der Ausstellung versammelten Künstlerinnen und Künstler haben sich von genau diesen ‚Imaginationsträgern‘ anregen lassen; in nicht zu übersehender geschlechterdifferenter Aufteilung – schließlich dien(t)en diese ‚Spiele‘ nicht zuletzt der Einübung in Geschlechterrollen - bilden Puppen und Puppen(stuben)möbel, Eisenbahnfigürchen und Plastiksoldaten (u.v.m.) das Ausgangsmaterial ihrer fotografischen Inszenierungen. Die mediale Transformation übernimmt dabei die Rolle der kindlichen Vorstellungskraft: der "Realitätseffekt" der Fotografie verschmilzt die zum Teil heterogenen Elemente zu einer einheitlichen Szene und verschafft dieser den Status einer eigenständigen – wenn auch teils ver-rückten - Wirklichkeit.

Die Aufkündigung der gewohnten Maßstäblichkeit verbindet die Arbeiten von Torsten Goffin, Felix Müller und Peer Kugler/Katrin Sahner. Torsten Goffin spielt mit dem beliebten Topos der ‚Verzwergung‘ ("Hilfe, ich habe die Kinder geschrumpft", um eine aktuellere Filmvariante zu nennen), die den Verlust der anthropozentrischen Perspektive – und damit der Beherrschbarkeit der Dingwelt - bedeutet: "Familie Krause", ein Figurensatz für eine Ho-Spielzeugeisenbahn, wird in die ihnen zugedachten Situationen versetzt ("am Strand", "beim Spaziergang", "in der Gartenwirtschaft" u.ä.), jedoch nicht in der ihr angemessenen Miniaturumgebung sondern mittels assoziierter Gegenstände aus der ‚wirklichen‘ Welt, was zu grotesk- komischen Konfrontationen führt: so wenn die winzigen Krauses vor bzw. auf einer Bratwurst in Originalgröße Platz nehmen. Auch bei Kugler/Sahner kommt es zu derartigen Konfrontationen: so findet sich beispielsweise ein kleiner Plastiksisyphus aus einer Überraschungseiserie zwischen zwei ‚echten‘ Frühstückseiern wieder. In Kugler/Sahners Versionen antiker Mythen ist die Verzerrung der Maßstäblichkeit jedoch vor allem eine der Wertigkeit: durch ihre Versetzung in die Plastikwelt werden die symbolisch hoch aufgeladenen Bestandteile klassischer Bildung ins Banale, Alltägliche überführt, während gleichzeitig das Banale monumentalen Charakter annimmt. In die Welt der Comics und B-Movies, die in ihrem (monströsen) Personal und ihren Narrativen den antiken Mythologien ja nicht ganz unähnlich ist, versetzen dagegen die Bilder von Felix Müller. Bei einer der drei präsentierten Serien standen Katastrophenfilme Pate, in einer anderen treffen Kingkong und Killertomate aufeinander: der Kampf zwischen Plastikfigur und ‚echter‘ Tomate führt die inzwischen ohnehin nur noch humoristisch zu rezipierenden ‚special effects‘ älterer Monsterhorrorfilme restlos ad absurdum. Einem ernsteren Thema widmen sich dagegen die Arbeiten von Reinhard Kühl: mit Spielzeugsoldaten und Modellpanzern stellt Kühl Situationen nach, die auf historische Ereignisse des Zweiten Weltkriegs Bezug nehmen ("Wehrmachtssoldaten erobern Krakau, September 1939", Rotarmisten greifen den Reichstag an, April 1945" u.a.) und nimmt diese Modelle vor den ehemaligen Originalschauplätzen auf. Die archaische Technik der Lochkamera verleiht den s/w. Fotografien nicht nur ihre düstere, ‚Historizität‘ markierende Gestimmtheit sondern verschmilzt durch ihre leichte Unschärfe auch die zwei Ebenen – Modell und Realität, Vergangenheit und Gegenwart - zu einer einheitlichen Vision: als eine ‚Wiederkehr des Verdrängten‘ schiebt sich die traumatische Vergangenheit in die heutigen Stadtansichten. Auch Anna Lehmann-Brauns Fotografien verstehen sich als Rekonstruktionen - als historische jedoch nur insofern als sich Zeitgeschichte auch in der privaten Erinnerung niederschlägt. Bei den Raumsituationen, die sie in eigens hergestellten Kulissen mit Hilfe von Puppenstubenmöbeln schafft, handelt es sich um Materialisationen von Gedächtnisbildern, in denen sich die Erinnerung an bestimmte Personen, Erlebnisse, Affekte und nicht zuletzt ein spezifischer Zeitgeist verdichten. Lehmann-Brauns Lichtdramaturgie verschafft diesen Materialisationen Präsenz, gleichzeitig wird der Illusionismus jedoch immer wieder aufgebrochen, das ‚Zusammengebastelte‘ der Räume bleibt durchsichtig – sowie auch Erinnerung selbst immer Konstruktion ist. Auch in Eva Castringius Welten gibt es zahlreiche Brüche. Eine ihrer zwei Bilderserien erzählt die Abenteuer einer Bikerinnengang, die andere gibt Einblicke in den heimischen Alltag eines Rockerpärchens (letzteres eine Spezialanfertigung von Castringius). Die Inkongruenz ihrer Umgebung – Castringius mischt Puppenmöbel und Spielzeug mit ‚Originalgegenständen‘ – unterstreicht die leichte Skurilität des Paares und ihrer Aktionen, ohne jedoch die Glaubwürdigkeit der Situationen selbst anzugreifen: auch bei Castringius gewährleistet die fotografische Technik, hier in Form von Unschärfen, die Stimmigkeit der Gesamtinszenierung, in der vordergründig unrealistische Größenverhältnisse nichtsdestotrotz eine ‚psychische Realität‘ zum Ausdruck bringen.

Anders als die bisher beschriebenen Arbeiten, in denen gewisserweise ‚komplette‘ Welten präsentiert werden, gehen Marion Gülzow und Birgit Börchers von der Eigentümlichkeit der Modelle selbst aus. Börchers Puppenporträts und der Videoloop einer krabbelnden Puppe gemahnen an die Unheimlichkeit dieser uns selbst nachgebildeten Wesen und Automaten, von denen stets die Drohung auszugehen scheint, dass sie sich verlebendigen. In Marion Gülzows Fotoserie "Zwischen den Stühlen" sprechen die Dinge eine eigene Sprache, sie "ahmen spielerisch die Menschen nach" (Gülzow). Es agiert jeweils ein Puppenmöbelstuhl- bzw. –sesselpaar mit einem oder mehreren anderen Gegenständen: so sitzen einem Sessel buchstäblich ‚Hörner auf‘, zwei einfache grüne Holzstühle nehmen einen Eierbecher samt Inhalt zwischen sich – in schönster farblicher Harmonie. Komplettiert werden die freigestellt fotografierten, surrealen Kompositionen durch ein jeweils stilistisch passendes Tapetenpasspartout oder als Objekt in einem nachtblauen Kastenrahmen.

Es wird an den vorgestellten Beispielen deutlich geworden sein, dass es in den präsentierten Arbeiten nicht darum geht in sentimentaler Verwendung von Spielzeug ‚Kinderwelten‘ (bzw. das was man als Erwachsener darunter versteht) wieder aufleben zu lassen, sondern um die Konstruktion eigenständiger Wirklichkeiten, deren ambivalenter Status in allen Arbeiten präsent bleibt. So unterschiedlich die Künsterlinnen und Künstler dabei operieren – was sie verbindet ist die Verwendung der Fotografie als ein Medium, das diesen Konstruktionen Wahrscheinlichkeit, d.h. eine zumindest fiktionale Konsistenz verleiht. Und gerade in dieser Verbindung mit dem Modellhaften hat die Fotografie in letzter Zeit ihre anhaltende Wirksamkeit im künstlerischen Bereich belegen können.

Susanne Holschbach

 

 

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