Kein Schöner Land
topografische Fotografien
zwischen Virtualität und Idylle

Michael Reisch - Landschaft 1
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Michael Reisch - Landschaft 2
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Erasmus Schröter - aus "Phoenix"
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Erasmus Schröter - aus "Phoenix"
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Olaf Tamm -
Landschaft 2
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Olaf Tamm -
Landschaft 4
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Reinhard Kühl - aus "Afghanistan"
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Reinhard Kühl - aus "Afghanistan"
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Wilmar Koenig - "Le Bestiare"
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Wilmar Koenig - |
Winzer Klueglein - Installation :
Der Terminus "das latente Bild" bezeichnet den
Zustand in der Fotografie, bei dem auf physikalischem Weg (Licht) ein Bild
belichtet, jedoch durch chemische Einwirkung (Entwickler) nicht fertiggestellt
ist.
Das Bild existiert, ist auf unbegrenzte Zeit konserviert,
bleibt jedoch unsichtbar. Bei Dunkelkammerbeleuchtung verharrt es in der
Schwebe. Ein Spiel mit Endgültigkeiten und Wirklichkeiten. Es ist und ist auch
nicht.
Begleitet von akustischen Reizen kann der Betrachter diese
Atmosphäre wirken lassen. Er mag frei assoziieren, Erinnerung erleben oder
einfach Ruhe finden.
Die Klanginstallation wurde am Entstehungsort des Fotos
aufgenommen.
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Kein schöner Land
Einführung von Thomas Sakschewski
Günter Wewel ist - wie man so schön sagt - auf dem Teppich geblieben. Seit
Jahrzehnten ist er glücklich verheiratet. Trotz seiner zahlreichen
Verpflichtungen begleitet ihn seine Frau Gisela auf all seinen Reisen. Und er
muß viel reisen im Dienst der Millionen von Zuschauern, denen er regelmäßig
45 Minuten beste Unterhaltung beschert. Denn der bekannte Kammersänger
moderiert alle paar Monate die Sendung: Kein schöner Land. KEIN SCHÖNER LAND
ist eine musikalische Reise in die schönsten Regionen Deutschlands und Europas.
"Vor prachtvollen Naturkulissen und regionalen Baudenkmälern präsentiert
Günter Wewel nicht nur herrliche Musik, sondern er weiß auch Wissenwertes
über Geschichte, Kultur, Brauchtum und typische Handwerksberufe der Region zu
berichten", so die offizielle Sendeplatzbeschreibung der ARD. Der Titel
dieses regelmäßig wiederkehrenden Schunkel-Scharmützels der Volksmusik kommt
nicht von ungefähr.
Kein schöner Land in dieser Zeit,
als hier das unsre weit und breit,
Heißt es in dem Volkslied, das von einem Florentin Zuccalmaglio in der
ebenso National bewegten wie schwermütigen Mitte des 19. Jahrhunderts erstmalig
niedergeschrieben wurde. Weil diese beiden Zeilen allein für eine Strophe nicht
reichten, schob Zuccalmaglio noch zwei nach:
wo wir uns finden wohl unter Linden zur Abendzeit.
Wo wir uns finden wohl unter Linden zur Abendzeit.
So eröffnet der Liedtext dieser Volksweise in vier Zeilen und drei
Satzrudimenten das romantische Panorama einer Idylle. Eine Natur-Idylle
natürlich! Ein schönes Land, ein weites Land, mit Linden unter deren
Blätterdach zur Abendzeit unter dem Himmelszelt ein Stelldichein stattfindet.
Wir müssen da an das Jahr der Niederschrift denken! Zu einem Zeitpunkt also, in
dem aus Handwerksbetrieben Manufakturen und aus Manufakturen Industriebetriebe
wurden, Heinrich Heine in Paris voller Schwermut an Deutschland dachte und Karl
Marx in London an den Kommunismus. In dem Zeit und Raum zu schmelzen begannen,
Entfernungen sich unter dem Geruch von Stahl und Dampf verkürzten und Europa
durch Schienenstränge zusammengenäht wurde. Kein schöner Land. Idylle schon
damals eine Traumvorstellung. Alptraum für E.T. A. Hoffmann oder Heinrich von
Kleist, Sehnsuchtsvorstellung für diejenigen, die Welt als Watte und
Weichzeichner sehen wollen. Idylle übrigens taucht als Wort erst zu dieser Zeit
im deutsches Sprachgebrauch auf. Es stammt vom lat Idyllum. Das hieß:
Hirtengedicht.
Zwischen Virtualität und Idylle lautet der Untertitel zur Ausstellung: Kein
schöner Land. Ein Gegensatzpaar wird hier angedeutet, das so nie existierte.
Idylle war immer virtuell. Selbst bei den alten Römern schon: "Alles ist
bereits besucht, alles ist bekannt, alles ausgebeutet. Küsten sind begradigt,
Berge geglättet und Sümpfe trocken gelegt. überall sind Gebäude, Menschen,
überall Leben" beklagte sich schon Tertullian 200 Jahre nach Christi
Geburt in seinen Aufzeichnungen. Eine Null später, im gerade begonnen Neuen
Jahrtausend, können wir ihm nur zustimmen. Die Welt ist nicht Hirtengedicht,
sondern von Menschen gemacht. Wo beginnt das Virtuelle? Wo doch das Reale uns
schon so künstlich erscheint, wie auf den topographischen Fotografien der hier
vertretenen Künstler.
Selbst bei den idyllischen "Norddeutschen Landschaften" von Olaf
Thamm ist die winterliche Vision des schönen Landes von erstarrter
Befremdlichkeit. Die mit einer klassischen Holzkamera erfassten Stilleben sind
so ohne Leben, eben Winterlandschaften mit künstlich angelegten Hainen und
Stoppeläckern in der Abenddämmerung. Heimat? Ein vereister Kulturraum, in dem
Wegspuren am Horizont enden und Wasserläufe sich durch Schneeschichten graben.
Man kann sich den 1962 geborenen, in Hamburg lebenden Fotografen vorstellen, wie
er in winterfester Kleidung auf fest gefrorenen Feldern steht und wartet auf die
richtigen Lichtverhältnisse, so dass sich der goldene Schimmer der
Abenddämmerung in den nackten Ästen der Flurbegrenzungen widerspiegelt und wir
haben ein nahezu idyllisches Bild.
Ganz anders arbeitet Erasmus Schröter, der in Leipzig lebt. Sich
gegenseitig ergänzend ist seine Serie "Ins Licht" hier in der
"Galerie in der alten Schule" bzw. "Kunst- und Medienzentrum
Adlershof" in einem Raum arrangiert. Statt der Interpretationsräume von
Thamm finden sich bei Erasmus Schröter inszenierte Landschaften. Die Motive
lassen sich Ost wie West zuhauf finden. Orte, die unwillkürlich ein Unwohlsein
vermitteln und dennoch eine Faszination ausstrahlen. Aus derselben Faszination
stöbern Kinder am liebsten unbemerkt im Schlafzimmer der Eltern. Etwas
Halb-Verbotenes zu machen, etwas für sie Nicht-Bestimmtes zu entdecken.
Industriebrachen, Nicht-Orte für die sich niemand mehr zuständig fühlt, auf
der Fotoserie "Ins Licht" von Erasmus Schröter. Szenerien, die einen
Hauch von Vergangenem haben ohne wirklich im Jetzt angekommen zu sein. Schröter
re-vitalisert diese Orte voller schauriger Schönheit durch Licht, sich der
Banalität des Schreckens durchaus bewußt. Er arbeitet dabei weder mit
photochemischer noch mit digitaler Nachbearbeitung, sondern allein die
künstliche Beleuchtung der Objekte erzeugt bei langer Belichtung diese Stimmung
des Traum-, ja Wahnhaften. Anders als bei der bekannten Fotoserie von den Resten
des Westwalls in Holland und Frankreich werden hier banale Situationen
illuminiert und so aus ihrer Alltäglichkeit heraus gehoben. Aus einem Loch in
einer Ziegelwand leckt ein blutrotes Licht wie bei einer Verletzung, ein
traurig, karges Spalier von Bäumchen wird vom gesamten Farbspektrums eines
Sonnenuntergangs umspielt.
Spontane Sekundärvegetation nennen Stadtplaner diese verkrüppelten Birken
und verwilderten Ziergräser, die zwischen rostigen Öltonnen und ramponierten
Autowracks genauso gut wachsen wie in Regenrinnen und Ruinen. In den
Landschaften, die Michael Reisch in seinen Fotografien festhält, haben diese
Formen des Wildwuchses dagegen keine öberlebenschance. Die Rasenfläche ist
gleichmä·ig und ohne Makel, die Bäume sind gestutzt und stehen an der rechten
Stelle und die Hügel schwingen sich so sanft hinab, wie kein Gott es besser
hätte erschaffen können. Ein von Menschen erzeugte Landschaft, die nur eine
minimale digitale Nachbearbeitung durch den 1964 geborenen Fotografen verlangte.
Eine Idylle von so bitterer Romantik wie ein Hirtenbild - statt Schafe ringen
hier ältere Herren um ihr Handicap. Beim Golfen in einer Landschaft, die nur
einem Zweck dient, Erschwernisse zu bieten, um nicht so einfach den Ball ins
Loch zu schlagen.
Wundert es das zu einer Zeit als die Idylle in den deutschen Wortschatz
Einzug hielt, auch die ersten Zoologischen Gärten ihre Tore öffneten? London,
Paris, Berlin alle wollten nicht mehr nur die wilden Tieren in bunten Magazinen
studieren, sondern ihnen leibhaftig ansichtig werden. Das Zwangskorsett des
Bürgerlichen brauchte das Wilde und Rohe als definitorische Abgrenzung.
Eingekerkert, hinter Gittern natürlich, doch so nahe das man das Wilde und
Animalische, der Löwen und Schneeleoparden noch riechen konnte. Reinhard Kühl
hat sie wieder entdeckt, die Schneeleoparden in Afghanistan. Das Afghanistan des
1967 geborenen, in Berlin lebenden Künstlers Reinhard Kühl liegt in Chicago im
Lincoln Park Zoo. Die wilden Tiere sind auf den Fotografien nicht zu sehen. Ganz
im Gegenteil! Die schwarzen, dünnen Linien, die wie ein Raster, die
Fotoarbeiten strukturieren und ein wenig an die mehrfachen Überlagerungen bei
den Collagen von Jiri Kolar erinnern, entpuppen sich erst beim zweiten Blick als
Teil des Abgebildeten, als Gitterstäbe. Die Landschaften hinter dem Gitter sind
idealtypische Landschaften, so wie sich ein Theatermaler aus Chicago weite
Steppen und zerklüftete Gebirge vorstellt, Afghanistan eben. In den Käfigen
zwischen Acrylhimmel und Gipssteinen fristen die traumatisierten Tiere ein
trostloses Dasein und bleiben auf der Fotoserie unsichtbar. Aber zumindest leben
sie.
Die in Dioramen plazierten Tiere in der Serie "Le Bestiaire" von
Wilmar König sind tot. Ausgestopft und mit aller Raffinesse des
Tierpräparators so in Szene gesetzt als wären sie lebendig. Die Simulation des
natürlichen Lebensraumes der Tiere gelingt mit unnatürlich toten Tieren viel
besser als mit Lebendigen. In dem rückwärtigen Rundhorizont der gemalten
Dioramen läßt sich der Blick viel leichter irritieren als im Rechteck realer
Architektur eines Zoologischen Gartens. Dioramen sind Imaginationskisten, gebaut
für den schweifenden Blick, um den Betrachter mit einem Stück gezähmter Natur
zu ergötzen. Wenn Wilmar König Tiere im Diorama fotografiert, fotografiert er
sozusagen doppelt, denn das Diorama selbst ist schon interpretierte Natur und so
wenig Abbild, wie auch die Fotografie nicht abbildet, sondern das Subjekt des
Kameraobjektivs um eine weitere Interpretation ergänzt. Zeitgleich mit der
Verbreitung der Fotografie erlebte auch das Diorama Seine, wenn auch nur kurze,
Erfolgsgeschichte. Und es passierte nicht selten, dass auf Jahrmärkten neben
der Frau ohne Unterleib, neben den ersten ruckligen Filmvorführungen auch ein
Schlachtenbild oder eine wilde arabische Landschaft dem schaulustigen Publikum
präsentiert wurde. Mit der Allmacht des Bildes verschwand auch sehr bald der
liebevolle, immer auch kunsthandwerkliche Ansatz des Dioramas.
Bildproduktionsmaschinen entstanden, Bildprojektionspaläste ersetzten das
Jahrmarktsspektakel. Das reichte sehr lange, doch mit einem allgegenwärtigen
Bildüberfluss muß das Besondere heute wieder ganzkörperlich erlebbar sein.
Die Event-Architektur zeitgenössischer Erlebniswelten gaukelt uns noch viel
mehr ein fast reales Erfahren vor. Diese Erlebniswelten allerdings sind
begehbar. Landschaften im Maßstab 1:1. Sie heißen Bundesgartenschau,
Shopping-Mall oder Golf-Court, so wie sie Michael Reisch in seinen Fotoarbeiten
festgehalten hat. Die Bildmaschinen der digitalen Bilderschwemme benötigen kein
Subjekt mehr, sondern erschaffen sich ihre Topographien selber, wie bei den
Fotoarbeiten von Gerhard Mantz. Der 1950 in Neu-Ulm geborene und in Berlin
lebende Bildhauer und Fotograf erzeugt topographische Fotografien am Rechner.
Die Landschaften, die hier als großformatige Cibachromes betrachtet werden
können, sind nie gesehene, weil nie dagewesene Räume. Und wie einfach es ist
für uns, jenseits vom komplizierten Herstellungsprozeß, zu akzeptieren, dass
das was dort zu sehen ist, eine Landschaft sein muß.
Wir brauchen ein bißchen Blau oben, um sofort voller Bestimmtheit vom
Himmel zu reden. Wir brauchen etwas Grün unten, damit das Wort Landschaft uns
als Speichelfluss auf der Zunge liegt und wir benötigen nur ein bißchen
gewelltes Hell und Dunkel, um gleich von Vorne und Hinten und der Schönheit des
Horizonts zu sprechen. Einfach uns zu narren. Doch geht es Mantz gar nicht darum
uns mit der Einfachheit der Gaukelei vorzuführen, sondern darum das
zweidimensionale Bild wie eine Skulptur zu behandeln, es als Abbild eines
dreidimensionalen Objektes errechnen zu lassen. So ähneln auch einige
Oberflächen der hier ausgestellten Fotografien, denen der hier nicht gezeigten
Objekte von Gerhard Mantz.
Ist das virtuell? Nein, die Fotografien zeigen eher eine Idylle und die war
schon immer genauso wenig real wie virtual.
Kein schöner Land in dieser Zeit,
Da haben wir so manche Stund,
gesessen so in froher Rund,
und taten singen, die Lieder klingen, im Eichengrund,
und taten singen, die Lieder klingen, im Eichengrund
lautet die zweite Strophe des bekannten und beliebten Volksliedes. Die
Installation von Winzer Klüglein lädt dazu ein sich hinzusetzen. Den Stimmen
und Geräuschen zu lauschen und im kargen Licht des abgedunkelten Raumes auf das
latente Bild zu achten. Das "latente Bild" ist ein Terminus aus der
Fotografie, er beschreibt den Zustand bei dem das Foto bereits auf
physikalischen Weg belichtet, jedoch auf chemischen Weg noch nicht entwickelt
wurde. Das Bild ist latent vorhanden, aber nicht sichtbar. Man kann dort Platz
nehmen und auf die inneren Bilder warten. Die entstehen langsam sobald die Ohren
die Rolle der im dunklen Raum nutzlosen Augen übernommen haben. Wir hören
Wellen, Gelächter, Stimmen und sehen einen Strand. Das ist der Ort, an dem das
latente Bild geschossen wurde. Eine moderne Idylle. Die ganz gegenwärtige,
ebenso latente wie lethargische Idylle des Neckermann-machts-möglich
Strandurlaubs.
Passenderweise begrünte der Volksmusikterrorist Günter Wewel seine
Zuschauer in der jüngsten Folge von "Kein Schöner Land" auf
Teneriffa, der Insel des ewigen Frühlings. Und als wäre die Welt im Hirtenbild
auf ewig fest gefroren phrasiert die ARD dazu: "Die größte und bunteste
Insel der Kanaren glänzt mit malerischen Stränden am tiefblauen Meer, mit
Weingärten, mit beeindruckender Blütenpracht, satten grünen Lorbeerwäldern
und natürlich mit dem höchsten Berg Spaniens, Teneriffa steht aber auch für
bunte Folklore, mitreißende Musik und kulinarische Spezialitäten."
In diesem Sinne:
Da haben wir so manche Stund,
gesessen so in froher Rund.
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