und ich? – mit dieser Frage lenkt die Ausstellung den Blick auf Selbstbefragung als Thema in der zeitgenössischen Fotografie. Die Frage ist so gestellt, als ob sie auf etwas Vorhandenes reagiert, etwas, dass die eigene Rolle im Leben/ in der Kunst frag-würdig werden lässt.
Eine Spur der ausgewählten neun FotografInnen führt zur eigenen Familiengeschichte. Die Eltern, häufiger die Mutter, und der Ort der Herkunft, spielen eine zentrale Rolle in der Selbstauseinandersetzung. Dergestalt werden Kindheit und Jugend Ausgangspunkt der Suche nach den Wurzeln der eigenen Existenz und darüber hinaus wird die persönliche Biografie als Teil der Zeitgeschichte aufgefasst. Besonders die privaten Familienfotos sind Auslöser der Selbstbefragung und weiten diese zur medialen Reflexion.
Diese Ausstellung in Berlin spiegelt auch die Stadt als realen Schnittpunkt zwischen Ost und West. Sie zeigt Geschichten und den Umgang mit Geschichte. Zäsuren, Brüche, Verluste werden benannt und reflektiert.
Und ich? – ist auch eine Frage an den Betrachter.
Wiebke Loeper (*1970) beschäftigt sich seit ihrer Diplomarbeit immer wieder mit der persönlichen Bedeutung von Heimat. Im Verschwinden des Landes DDR, in dem sie aufwuchs, diagnostiziert sie einen Verlust an persönlicher Geschichte. Sie kehrt an den Ort ihrer Kindheit, ein Hochhaus der siebziger Jahre im Zentrum Berlins, zurück. Es wird demnächst abgerissen. Mit Hilfe der Dias des Vaters vergegenwärtigt sie den Traum von privaten Glück in den einstigen Wohnräumen und stellt sie dem Jetzt-Zustand des Verfalls gegenüber. Über die Familiengeschichte hinaus erzählt der Bild-Dialog auch von der Brüchigkeit dieser Träume, die auf merkwürdige, eben letztlich unvereinbare Weise modernen Lifestile und kleinbürgerliche Idylle zu verbinden suchten.
Auch
Ute Weiss-Leder (*1959) verbindet Selbstbefragung mit ihrer Familiengeschichte. Lebensmittelpunkt war für mehrere Generationen ein Kurhotel in Thüringen, das durch die Enteignung zu DDR-Zeiten einem langsamen, systematischen Verfall preisgegeben war, der nach der Wende nicht aufgehalten wurde. Weiss-Leder schaut auf die Spuren einer Familientradition, deren Ende auch einen sozialen Wandel markieren, den Verlust familiärer Zentren. Wie eine Chronistin führt sie verschiedene Bruchstücke zusammen, lässt eine Ahnung von der Schönheit und einstigen Lebensfülle entstehen. Sie dokumentiert in den Hotelzimmern allein 56 unterschiedliche Tapeten. Die Personen, die diese Lebenskultur schufen und pflegten, tauchen in den alten Fotos auf und wieder unter - heute warnt ein Schild "Betreten verboten." Barbara Kämper (*1961) setzt sich im Rückblick mit dem Schicksal ihres Vaters auseinander, das durch Kriegsgefangenschaft und Umsiedlung aus Böhmen in die DDR geprägt war. Erst Jahre nach seinem Tod liest sie seine Briefe aus der Gefangenschaft und nähert sich der Problematik des Verlustes von Heimat, die es im offiziellen Diskurs der DDR nicht gab. Zitate aus den Karten und Fotos vom Vater aus dieser Zeit überlagern Landschaften, die Kämper in Böhmen zeichnete. Die Mitteilungen des Vaters an seine Eltern geben keine Auskunft über persönliches Leid und Schuld. Der Sprachlosigkeit entgegnet Kämper mit Einfühlung. Die Über- und Untermalungen der Fotoschicht laden die Bilder emotional auf, vergegenwärtigen postum die unausgesprochene Sehnsucht und Trauer.Bei
Winzer Klüglein (*1953) ist die Auseinandersetzung mit Geschichte und konkret den Familienfotos aus den Weltkriegen äußerer Anlass, um sich des Jetzt zu vergewissern. Klüglein überarbeitet die alten Vorlagen aus dem Familienarchiv in einem mehrschichtigen fotochemischen Verfahren. Die sichtbar belassenen Ausschnitte lassen das historische Ambiente nur erahnen. Dieses Weniger an Information stärkt den Deutungsspielraum des Betrachters. Er kann in die verblichene Aura des Vergangenen eintauchen und gleichzeitig die überkommenen Relikte wie ein Archäologe hinsichtlich ihrer heutigen Bedeutung befragen.Eine andere Spur der familiären Auseinandersetzung verfolgt Katrin Jaquet (*1971) in ihren Serien "Mama I-III". Dem Verhältnis des Selbst zum Anderen geht sie durch Rückprojektion auf den Grund. Sie projiziert Bilder aus dem Familienalbum in die eigene Mundhöhle. Oder sie spielt die verschiedenen Rollen im Foto durch, schlüpft mal in Rolle des Kleinkindes von einst oder nimmt die Stelle der fürsorglichen Mutter sich selbst gegenüber ein. Die Überlagerung verschiedener Personen bzw. Ich-Zustände mutet wie ein Versuch der Klärung und Abnabelung aus schützenden, aber auch beengenden Strukturen an. Auf ähnlich hautnahe Weise verfährt sie mit dem Bild der Mutter und Großmutter, mit denen sie das eigene Gesicht überlagert.
Darin gibt es eine interessanten Vergleich zur Arbeit von Karin
Dammers (*1958).
Auch Dammers überlagert das Bild des eigenen Gesichtes mit denen von Mutter
oder Großmutter. Wenn Jaquet ihre Mimik an die der Mutter anpasst, dann sind
die Grenzen der eigenen Artikulation bewusst eng gesteckt.
Karin Dammers fasst den Spielraum zwischen physischer und psychischer Nähe und
Emanzipation vom Vorbild offener. Die Doppelbelichtungen erinnern an die ersten
experimentellen Versuche der Avantgarde, das starre Bild der Repräsentation
aufzubrechen. Mehrdeutigkeit und Simultanität weisen auf die Dynamik
familiärer Beziehungen aus Identifikation und Reflexion.
Bernhard Schurian (*1962) und Claudia
Tribin (*1962) verbinden die Frage nach dem Ich mit dem Wissen und
den Erfahrungen von Fremdheit. Bei Schurian, der als Münchener in den achtziger
Jahren enge Kontakte nach Leipzig pflegte und jetzt in Berlin lebt, ist die
fotografische Reise nach Leipzig ca. 15 Jahre später geprägt vom Wechsel aus
Nähe und Distanz. Da sind subtil Spuren der Veränderung festgehalten. Ein
Industriegebäude steht leer, wird überwuchert von Pflanzen. Blicke in Gärten,
auf das stehende Gewässer eines Kanals lassen
ein Gefühl für den Lauf der Zeit aufkommen ? ein Hakenkreuz im Sand spricht
vom Unerledigten der Geschichte.
Verstörender sind die Bildtableaus Claudia
Tribins Details von Früchten, Amphibien, toten Tieren, Blut,
Grabsteine sind in betörend intensiver Farbigkeit miteinander verzahnt.
Überpräsent wie perfekt inszenierte Werbefotos, wird jede Lust am Bild in ihr
Gegenteil verkehrt, den Ekel. Die Dinge haben keinen Raum zum Atmen, die Fülle
wird zum Synonym der Völlerei. Kolumbien als Synonym für die schönen Tropen
und die Grausamkeit der Gewalt. Die Frage nach dem Ich ist vielleicht die
seines Verschwindens hinter den Bildern.
Von Gerd Holzwart (*1970), dem Performer wird Fotografieren als Prozess von Kreation und Vernichtung aufgefasst: Wir sehen Kopien einer Aktion des Künstlers, aus denen seine Person herausgeschnitten ist. Er hat diese fotografischen Abbilder aufgegessen. Der Akt der Einverleibung des Bildes behauptet das Maß der Selbstbestimmbarkeit über sich.