Künstlerische Fotografie
Nicht der "kleine" ist das entscheidende Gegenteil des "großen Ausdruckes", sondern die Verschwiegenheit, die Nichtbenennung. Ausdrücken bedeutet formulieren, darstellen, visualisieren. Künstler verheimlichen nicht, sondern veröffentlichen. Ihr künstlerischer Ausdruck ist in der Tendenz immer ein großer Ausdruck, überzeugt von ihrer Kunst, um ein Publikum zu überzeugen.
Von Anfang an ist die Fotografie auch künstlerisches Medium. Nur galt die Fotografie als nicht so künstlerisch, allein schon aufgrund des Entstehungsprozesses. Der Schöpfungsakt vor der Leinwand sollte nicht verglichen werden mit dem Auslöser auf dem Fotoapparat.
Diese Beurteilung hat sich geändert. Die Stärke der Kunst liegt in der Einmaligkeit und der Subjektivität. Die Stärke der Fotografie liegt in ihrem Objektiv, was sie zum Zeugen der Wirklichkeit macht, als ein "Dokument".
Die Fotografie revolutionierte unsere gesamte Lebenswelt, machte sie diese Welt doch jederzeit bebildert, und belichtete uns jeden noch so versteckten Ort. Dokumentarfotografie, Reportage, Mikro- und Makrofotografie, Industriefotografie oder Luftaufnahmen. Sie liefert durch ihr Objektiv gemachte Bilder, und da sie so erklärend sind, gelten sie weitgehend als objektiv. Dabei ist Fotografie immer ein Ausschnitt. Das ist so grundlegend, daß es häufig gar nicht bemerkt wird. Obwohl bekannt ist, daß der Fotograf den Ausschnitt wählt, also weglässt; obwohl Licht, Schärfe, Perspektive, Filter und Brennweite manipulierbar sind, längst vor digitaler Bildbearbeitung.
Vielleicht hat die Bilderflut dazu verholfen, die Fotografie von ihrer vermeintlichen Objektivität zu entlasten. Unterstützung findet dieser Prozess durch den Wegfall bisheriger technischer Begrenzungen, zum Beispiel beim Print großer Formate in Farbe. Die Fotografie hat verstärkt Einzug in den Kunstbetrieb gehalten, indem sie dem Primat von Kunst - der Subjektivität - gefolgt ist. Sie hat Bilder gefunden, konstruiert, inszeniert, sie erfindet Wirklichkeit. Die Ergebnisse sind subjektive Sichten, die allzu häufig vom Publikum als schlechte Fotos empfunden werden: unscharf, mit Hindernissen, ausschnitthaft. Je subjektiver die Bildherstellung mit Fotografie wird, je mehr gestattet sie von innen den Einblick in die Welt, bedient sie sich der klassischen künstlerischen Ausdrucksmittel, desto mehr wird ihr "Bild"- Anteil sichtbar.
Die Potenz der künstlerischen Fotografie liegt darin, dass sie "Dokument" und "Bild" ist, wobei das Bild das Entscheidende ist. (Jean-Christoph Ammann: Das Medium Fotografie in der Bildenden Kunst. 1999) Wenn wir mit der Unterscheidung Dokument und Bild an die Fotografien des KUBO-Kunstpreises herangehen, so zeigt sich, daß alle beteiligten Künstler mit diesem Spannungsfeld arbeiten.
Betrachten wir die Preisträger : Der Berliner Künstler Kurt Buchwald hat sich offensichtlich dem Dokument verschrieben. "In viaggio": ein Reisetagebuch, die Abfolge von Erlebnissen, das Festhalten von Ereignissen. Das ist allerdings nur der erste Blick, denn die Erlebnisebene ordnet sich in jedem Einzelfoto dem Gesamtbildwerk unter. Die Grammatik der Motive ist nicht beliebig, sondern folgt einem bildhaften Leitthema, mit dem uns Buchwald seine "Bildreise" präsentiert. Zwar lassen sich die Bilder im Großen Index wie Dokumente des Unterwegs - seins lesen, aber wie sie erzählen, ist das Entscheidende. Die lineare Erzählstruktur ist aufgelöst, die Bilder sind je komponiert, sie leben aus ihren Ausschnitten, aus ihren Blickversperrungen und bilden ein Gesamtes, eine Summe an Bild.
Die Bremer Künstler Anna Solecka und Wolfgang Zach stellen uns ungewöhnliche Fotografie vor, die genaugenommen "keine" Fotografie ist. Die Arbeit ist eine Bleistiftzeichnung, eine mit dem Computer generierte Umsetzung des Fotos in einen geplotterten Ausdruck. Eine Zeichnung in dieser Größe benötigt über eine Woche Plotterzeit. Grundlage ist ein Schwarz-Weiss-Foto einer inszenierten Situation. Man wird geradezu in die Szene hineingezogen. Diese wirkt nicht durch große Gesten, aber sie bringt sofort das große Buch der Symbole zum Klingen: Waschung, Andacht, Ritual, Einfachheit und Zeitlosigkeit. Was genau passiert, bleibt offen. Die Weichheit der fotografischen Bleistiftzeichnung, das Materielle wird selbst in der Katalogabbildung noch deutlich. Anna Solecka und Wolfgang Zach ist es gelungen, der Fotografie ein weiteres künstlerisches Stück hinzuzufügen: Zeichnerisches Genre der "alten Kunst" mit der Fototechnik des 20sten Jahrhunderts und der digitalen Technik von heute zum Ausdruck generieren. Ergebnis ist Kunst, ist ein Bild.
KUBO und KMZA haben den "Großen Ausdruck " für großformatige Fotografie ausgeschrieben. Die Künstler haben geantwortet.
Dr. Detlef Roth